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9. Xingiang – Nordost-China, das Leben in einer Jurte…

a group of men from Kirgisistan

a group of men from Kirgisistan

… nicht weit von der pakistanischen Grenze im äussersten Nordwesten Chinas, in der Provinz Xingiang am hochgelegenen Karakul Lake leben noch verstreut einige kirgisische Nomaden wie vor hundert Jahren in ihren Jurten. Der kalte See liegt auf fast 4000 Metern Höhe und ist umringt von schneebedeckten Berggipfeln. Eine sogenannte Bilderbuchlandschaft. Ich hab hier soviel mit meinen 2 Kameras rumgeknippst, dass ich scheinbar gar nicht mehr nach Zentralasien reisen muss. Denn alles ist hier in dieser entlegenen Gegend bereits vor Ort: Kirgisen, Tadschiken, Usbeken, Yaks, Kamele und Jurten. Alte noch aus kommunistischer Zeit stammende Traktoren, russische LKW’s usw. – also alles, was mein retrophil veranlagtes Herz begehrte.

Die gnadenlose chinesische Assimilationspolitik und ihre Warenökonomie waren in dieser entlegenen Region noch nicht vorgedrungen! Das Zentralkomitee in Peking hatte anscheinend derzeit mit dem tibetischen Hochland und den grossen uigurischen Städten wie Kashgar und Ürümqi genug zu tun. So viele Bagger und Lastwagen schien es selbst im aufstrebenden China nicht zu geben, um das riesige Reich in allen Landesteilen gleichzeitig umzukrempeln! Man liess die kirgisischen Nomaden also noch ein paar Jahre gewähren.

in der vordersten hab ich gehaust

in der vordersten hab ich gehaust

Die Dame des Hauses

Die Dame des Hauses

Aber in gut 10-15 Jahren, da bin ich mir sicher, wird das Zentralkomitee in dieser kargen und öden Hochebene so ne Art Las Vegas errichten um dann die Pakistanis in komfortablen Bussen über die nah gelegene Grenze zu karren damit diese ihre unterdrückten Bedürfnisse wie Alkohol, Sex, gambling und sonstiges gegen harte Dollars  befriedigen dürfen. Wetten dass?! Zurück zum Jurtenleben. Ich habe dort einige Tage in einer solchen verbracht – vom Naturerlebnis wie bereits beschrieben fast unschlagbar. Was mich aber wirklich erstaunt hat und nachdenklich stimmte, war das einfache und genügsame Alltagsleben dieser Nomaden. Ich hatte auf meinen Reisen ja schon viele verschiedene und höchst einfache Lebensweisen kennengelernt. Der kirgisische Jurtenalltag so wie ich ihn erlebte sprengte jedoch alle Register. Zum Glück hatte ich meine Gitarre bei mir!Da es auf 4000 Metern nachts recht kühl ist, steht man morgens erst so gegen 10 Uhr auf. Pekingzeit! Die Sonne geht erst sehr spät auf und gegen 22.00 wird es auch schon wieder dunkel.

Der Jurtenvorstand, d.h. die Frau des Hauses krabbelte wie selbstverständlich am morgen als Erstes unter dem warmen Yakfell hervor, während der Ehemann und die Kinder liegenbleiben. Es war noch zu kalt. Sie heizt den zentral in der Jurte stehenden Ofen an und bereitet den typischen salzigen Yakbuttertee zu. Dazu gibt es dann trockenes Fladenbrot, welches man dann in den fettigen Tee taucht. Übrigens nicht jedermanns Geschmack! Nach solch einem anstrengenden Frühstück legte man sich dann erstmal wieder in die Koje und razte noch ein bis zwei Stündchen, bis der Jurtenvorstand wieder unter dem Yakfell hervorkrabbelte und langsam damit begann das Mittagsmahl zuzubereiten. Sowas konnte dann gerne auch mal  um die 2-3 Stunden in Anspruch nehmen.

Der Ehemann und die Kinder sind nun auch endlich wach. Der Ehemann öffnet die Tür und schreitet mit prüfendem Blick ein oder zweimal um die Jurte. Schaut ob alles in Ordnung ist. Dann setzt er sich vor die Jurtentür, schaut gelassen auf den See und raucht genüsslich einige Zigaretten und wartet auf das Mittagsessen. Zeit spielte in dieser Kultur keine Rolle; spezifische Interessen oder sonstige Aktivitäten schien es im kirgisischen Jurtenalltag nicht zu geben. In den Nachbarjurten verlief das Alltagsleben übrigens in ähnlicher Weise. Nun war es endlich soweit, dass Mittagessen war zubereitet. Nach dem Mahl das obligatorische Mittagsschläfchen. Irgendwann krabbelte dann der Jurtenvorstand wieder unter dem Fell hervor und begann mit der Zubereitung des Abendessens, während der Ehemann sich wieder vor die Jurte setzte und sich die Sonne ins Gesicht scheinen liess. Er sprach ein paar Brocken Englisch, da der gelegentlich vorbeischauende Tourist die finanzielle Haupteinnahme der Familie war. Als ich ihn einmal nach seinen Plänen und Interessen fragte, schien mich nicht richtig zu verstehen zu wollen. So bohrte ich weiter und erinnerte ihn daran, dass es doch erst Nachmittag wäre und ob er den noch etwas vorhabe?

hier ist die globalisierung noch nicht angekommen!

hier ist die globalisierung noch nicht angekommen!

Ja sagte er, natürlich! Er wartet auf das Abendessen und dann will er zu Bett gehen…Um es kurz zu machen, dieser ritualisierte Alltag wiederholte sich die ganzen drei Tage, die ich in dieser Jurte verbrachte. Das einzige worum man sich gelegentlich kümmern musste, waren die Tiere die hoch droben in den Bergen lebten. Man hatte einige Yaks und Ziegen, so alle zwei Wochen fuhr man mit dem Moped hoch zur Alm und schaute nach ob sich nicht etwa ein Schneeleopard oder ähnliches am Familienbesitz  gelabt hatte. So was kam nicht selten vor, sagte man mir – obwohl ich bisher niemanden getroffen habe der je einen dieser seltenen Tiere gesehen hatte!
Das ganze Leben dieser Nomaden erinnerte mich ein wenig an einen guten Freund aus meiner Heimat. Man lässt das Leben einfach an sich vorbeiziehen. Zeit spielte keine Rolle, man hat keine Angst etwas zu verpassen und schien trotzdem zufrieden zu sein?! Auch diese kirgisischen Nomaden schienen zufrieden und glücklich mit ihrem Dasein, der Begriff Langeweile war ihnen fremd, insofern konnten sie sich ja gar nicht langweilen! Alles im Leben ist eben Gewöhnungssache – oder nicht?! Das scheint mir das einzige plausible Erklärungsmodel, anders kann ich mir mit meinen westlich determiniertem Hirn nicht erklären, wie man so ein Leben führen kann!
Karakoram Highway on the chinese side in much better condition than in Pakistan

Karakoram Highway on the Chinese side in much better condition than in Pakistan

karakul-camels

Wie sagte nochmal Homer Simpson, frei zitiert nach einem guten Freund aus meiner Heimat: „Alles was weiter weg ist von mir als 20 Meter lohnt den Aufwand nicht, zu anstrengend!“