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2. St. Petersburg – Cuba hostel

Cuba

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Ich hatte mich im Cuba Hostel in der Naehe der Petersburger Champs Elysees, dem Newski Prospekt einquartiert. Von hier aus sollten meine ersten Beobachtungen im Riesenreich Russland beginnen. Einen kleinen Eindruck durfte ich mir ja schon an der lettisch/russischen Grenze verschaffen, als die Grenzer den aus Riga kommenden Zug stuermten, um im Stelzschritt die Paesse zu kontrollieren. Das erinnerte schon ein wenig an einen russischen Agentenfilm, zur Zeit des kalten Krieges!Das Klientel im Cuba Hostel bestand zu meiner Ueberraschung vor allem aus Gelegenheits- und Hobbykommunisten. Der Name des Hostels schien hier Programm: Etwas Millerntor und eine Prise Hafenstrasse. Hier gaben sich diejenigen die Hand, die nochmal ein wenig sozialistische Nostalgie schnuppern wollten – in unserer doch so schnelllebigen Zeit! Der Dresscode wurde  im Cuba uebrigens durchaus ernst genommen. Man kleidete sich um der Gesinnung Ausdruck zu verleihen vorwiegend in schwarz. Dazu gerne  mal ein passendes olivfarbenes Fidel cap und was das sozialistische Insignien Reservoir sonst noch so her gab. Das etwas fortgeschrittenere member der community traegt  (nicht selten um dahinter ein spitzbuebisch grinsendes Milchgesicht zu verstecken) einen franzigen Vollbart. Dieser wird dann nicht selten  mit einer grossen intelektuell anmutenden Hornbrille kombiniert. Stilistisch erinnerte mich das etwas, an Jarvis Cookers‘ Fotoshooting zu seinem letzten Album. Wer hatte da eigentlich von wem geklaut? Der etwas weniger stilsichere Cubahostelianer, begnuegte sich schon mit dem stereotypen Che Guevara T-Shirt oder eines Ansteckbutton mit sozialistischem Ikon – um der Zugehoerigkeit zur Peergroup Ausdruck zu verleihen. In der der Lobby, welche von drallen Sprachstudentin Anna aus Omsk geleitet wurde, hangen ueber der Rezeption zwei schlichte Wanduhren. Eine zeigte die Moskauzeit, die andere die die Havanazeit!

Am nahe gelegenen Newski Prospekt wollte man von solch antiquierten Vorstellungen nichts mehr wissen. Hier fand eine andere Party statt. Hier wurde zur Schau gestellt, geklotzt und auf dicke Hose gemacht. Understatement und Konformismus hatten hier keine Aufenthaltsberechtigung. Vom Porsche Chayenne ueber den neusten Lamborgini bis zum umgebauten Sretch Hummer (durch seine Laenge  fast unlenkbar) war hier alles vertreten. Geld war scheinbar genug da, unter den neureichen Russen. Man zeigte was man hatte und fuhr den Newski auf und ab – um das Ego bei Laune zu halten. Bei laengerer Betrachtung des ganzen Protzes, hatte ich manchmal das Gefuehl, dass sich unter den Neureichen bereits eine gewisse Irritation und Unsicherheit eingestellt hatte. Welches Fahrzeug den ueberhaupt noch standesgemaess waere – war doch schon alles vertreten?! Reichtum und Bildung, gingen in Russland nebenbei bemerkt nicht unbedingt konform!

Auch die russischen durchaus huebeschen Frauen, zeigten was sie hatten. Neben aufwendiger Kosmetik, liebevoller Nagelpflege und nicht mit Reizen geizender Kleidung wurden insbesondere die sekundaeren weiblichen Geschlechtsmerkmal in Szene gesetzt. Ganz nach dem Motto: Wer nicht hat – hat trotzdem! Und waehrend die Fahrzeuge der Maenner tiefergelegt waren, wurde das weibliche Geschlecht  hoehergelegt. Highheels gehoerten zum Pflichtprogramm. Das aufwendige Schuhwerk konnte dabei, so meine Beobachtung, auch schnell mal Richtung Marylin Manson driften – um den angestrebten Modelmassen naeher zu kommen!

Unter der neureichen Schickeria lebte man ganz nach der Praemisse: ‚live your life‘. Nach den Jahrzehnten der Enthaltsamkeit und der staendigen politischen Veraenderungen war der Russe von Natur aus skeptisch. So brachte es ein tschechischer Mitbewohner meines Hostels, der viele Jahre in Petersburg verbrachte auf den Punkt. Politische Stabilitaet, finanzieller Aufschwung usw. koennten jederzeit ein abruptes Ende finden. Also raus mit dem Rubel! Diese Erklaerung schien mir recht adequat!Die russische Seele ist trinkfreudig, wie wir alle wissen. Eine Deutschrussin aus Kasachstan, die ich mal mit meiner Taxe nach Hause bringen durfte, erklaerte mir das folgendermassen: Jede Kultur hat seine Gewohnheiten. Und wenn der Russe mal zum Fruehstuck ne Flasche Wodka trinkt, dann hat das weniger mit saufen zu tun, sondern vielmehr mehr mit einem Brauch. Wie dem auch sei. Dieser alte russische  Brauch war tatsaechlich ueberall und zu jeder Tageszeit anzufinden. Der Gescheaftsmann trank laessig an seinem schwarzen 5er BMW lehnend, gerne  am fruehen Morgen  mal ein Bier. Und die junge freche Natascha im Minirock, schnell noch mal nen Schluck an der Haltestelle, waehrend sie auf den Bus wartete. Boese Blicke Anderer gab es nicht, denn es schien die normalste Sache der Welt. Gorbatschow soll ja waehrend seiner Amtsinhabe viele Brauereinen in Russland ins Leben gerufen zu haben, um die Russen vom Wodka zum doch vertreaglicheren Bier zu konvertieren.

Meine Abende verbrachte ich meistens im Datscha, einem kleinen Club in der naeheren Umgebung meines Hostels. Nicht zuletzt, weil ich bis dahin die Sicherheitslage im naechtlichen Petersburg nicht so richtig einschaetzen konnte. Es ist Juni und alle feierten die sogenannten White Nights. Es war fast 24 h am Tag hell und alles war auf den Beinen und trank Bier. Die Parks und Strassen waren selbst in der Woche um 4 Uhr morgens  noch gerammelt voll, als waere es Samstagvormittag in einer deutschen Fussgaengerzone. Meine innere Uhr geriet voellig durcheinander. Im Datscha verkehrten vor allem russische junge Intelektuelle und  Hipsters. Sie entsprachen optisch so gar nicht dem Bild, des doch eher proletarisch anmutenden Deutschrussen. Mit etwas Glueck fand man hier auch jemanden der etwas Englisch sprach. Was in Russland nicht unbedingt zur Gewohneheit gehoerte, um es mal vorsichtig auszudruecken. Im Datscha lernte ich auch Olga kennen, die mich aus irgendeinem Grund an die ehemalige Warhol Muse Ingrid Superstar erinnerte. Sie verbrachte einige Zeit in Illinois bei ihren Verwandten, war insofern sprachkundig und fuehrte mich in den Petersburger Untergrund ein. Olga war nur bedingt gluecklich, was sich aber gerade aenderte wie sie meinte, lass gerade Hesses‘ Steppenwolf, in dessen Hauptfigur sie sich wiederfand und stand auf die morbiden Filme von Peter Greenway. Sie hatte das Glueck, dass ihre Eltern waehrend der ersten Privatisierungswelle in Russland, Anfang der 90er Jahre fuer einen symbolischen Preis eine grosszuege Altbauwohnung im Petersburger Stadtzentrum erstanden, die in der heutigen Zeit  fast unbezahlbar waere. Ueber Ungerechtigkeiten, Bevorzugungen usw. dieser Privatisierung von Staatseigentum, wird in Russland seltsamer Weise nur ungern gesprochen…man verdreangt es!
Ein anders Phaenomen hatte in Petersburg Hochkonjunktur. Alternde Rockstars gaben in der ehemaligen Zarenstadt besonders gerne Konzerte. Und das zu absurden Preisen, die oft  bei 150 Euro und hoeher lagen. Selbst fuer den doch eher zur Indieszene gehoerenden Morrissey (der ehemaligen a-sexuelle  Frontmann der Smiths),  musste man fuer den guenstigsten Sitzplatz 90 Euro auf Tisch legen. Hier aufzutreten konnte die Rockerrente nochmal richtig aufbessern. Der Newski Prospekt war gesaeumt mit Konzertankuendigungen laengst abgehalfterter Bands wie Foreigner, Nazareth oder Uriah Heep. Selbst die alte Solariumschwuchtel Thomas Anders beglueckte die Russen mit feinstem Bohlen Songwriting der 80er wie Brother Louie oder Geronimos Cadillac. Das ganze allerdings unter dem geschuetzten Namen Modern Talking . Aber Dieter das alte Schlitzohr,  kassierte an dem Namensrecht und an den Auftritten von Thomas sicherlich kraeftig mit…
Neue, Alte und vielleicht kommende Weihnachtsmänner

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St. Pieter

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Zebrastreifen

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in the datscha

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Olga

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